Marketing
Online seit: 22.10.2021
Miteinander reden statt überreden – Die Tretminen der Online-Kommunikation
Übertriebene Werbebotschaften und wohlgemeintes Verschaukeln der Zielgruppe können im Netz wahre kommunikative Erdbeben auslösen. Und nur allzu oft müssen Kommunikationsabteilungen und PR-Agenturen die Suppe dann auslöffeln. Die drei größten Tretminen der Online-Kommunikation.
Der Hintergedanke war gar nicht schlecht – nur mit den Folgen hatte niemand gerechnet: Ein großer deutscher Fußballverein kündigte Ende Januar auf seiner Facebook-Seite mit enormer Resonanz in den Sozialen Medien die Verpflichtung eines neuen Offensiv-Spielers und eine Pressekonferenz dazu an. Die Konferenz konnte live per Stream mitverfolgt werden – nach Autorisierung einer entsprechenden Facebook-App. Gezeigt wurde dann allerdings kein realer, neuer Spieler, sondern das jeweilige eigene Profilbild; jeder Fan sollte sich als Teil der Mannschaft sehen. Es kam aber anders: Tausende wütende Kommentare, Chaos in der Reaktion und ein Überschwappen in klassische Medien. Dieser klassische Fall eines Marketing-Gags, der nach hinten losgeht, offenbart ein Dilemma, das gerade in Zeiten des Mitmachwebs an Brisanz gewinnt: Übertriebene Werbebotschaften und wohlgemeintes Verschaukeln der Zielgruppe können angesichts des Vernetzungsgrads und der Verbreitungsgeschwindigkeit im Netz wahre kommunikative Erdbeben auslösen. Und nur allzu oft müssen Kommunikationsabteilungen und PR-Agenturen die Suppe dann auslöffeln.
Tretmine 1: Das Social Web als reinen Absatzkanal sehen
Der Fehler liegt meist im Ansatz: Das Internet wird eingegrenzt auf einen zusätzlichen Absatzkanal. Ausgehend von der richtigen Annahme, dass Kaufentscheidungen zunehmend von Sozialen Medien beeinflusst sind, werden unter dem Überbegriff „Social Media Marketing“ Anzeigenbanner und Adwords geschaltet, Facebook-Gewinnspiele veranstaltet und verlockende Rabattgutscheine getwittert. All diese Dinge können wichtig und hilfreich sein, aber das Gießkannenprinzip aus der klassischen Werbung hat auch drei fragwürdige Effekte: Kurzfristig kommen vielleicht mehr Follower und Fans – aber bleiben sie auch? Dauerhaft steigen die Marketingausgaben – aber müssen sie das auch? Und: Das Image wird geprägt von Werbeaussagen – aber soll so eine nachhaltig wirkende, authentische Online-Reputation als moderne Basis für Vertrauenskapital aussehen? Monologisches Kommunikationsverhalten wird gerade im Social Web schnell entlarvt und selten dauerhaft honoriert. Und die Zahl der Fans oder Gewinnspielteilnehmer sagt nicht viel darüber aus, wie stark sich diese Nutzer auch wirklich für Marke, Unternehmen oder Produkt interessieren, sich darüber austauschen und zu Botschaftern werden. Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation sollten deshalb versuchen, so früh wie möglich in die Planungen des Marketings einbezogen zu werden – gerade in Sachen Online-Kommunikation – und konstruktiv Werbestrategien auf Wirksamkeit und Risiken hinterfragen.
Tretmine 2: Marketing und PR arbeiten gegeneinander
Immer entscheidender für das wirtschaftliche Wohl ist heute die digitale Reputation eines Unternehmens, einer Marke, eines Produkts. Vorteilhafter ist es also, wenn Marketing und Unternehmenskommunikation auch im Netz Hand in Hand arbeiten: Die kurzzeitige Aufmerksamkeitsspanne (Marketing) sollte kontinuierlich mit echten, transparenten Einblicken in Management, Produktion, Belegschaft, Kultur und Herstellungsbedingungen verlängert werden und es muss adäquat auf die Inhalte reagiert werden, die Nutzer selbst erstellen (PR). „Marketing is to sell, PR to tell“ – diese alte Unterscheidungsweisheit der beiden Disziplinen gilt auch für die neuen Medien. Mit dem Unterschied, dass das Erzählen ergänzt werden sollte durch Zuhören und Antworten. Es geht darum, Orientierung zu bieten, die eigene Sicht der Dinge zu vertreten und selbst Teil der Onlinecommunity zu werden. Denn gesprochen wird im Netz auch über die, die sich den neuen Kanälen noch verschließen.
Tretmine 3: Das Social Web als Testballon für Trainees betrachten
Für den Dialog im Netz, den Unternehmen zwangsweise eingehen müssen, sind gelernte Kommunikatoren am besten geeignet: Auch wenn die meisten sich erst an ein neues Umfeld gewöhnen und neue Formen von Geschwindigkeit, Beziehungsmanagement und Dialogbereitschaft erproben müssen, bringen Öffentlichkeitsarbeiter in der Regel mit ihrer Sensibilität, journalistischen Sprache und dem geübten Umgang mit kritischen Öffentlichkeiten die idealen Kompetenzen für integrierte Strategie und übergeordnete Führung der Online-Kommunikation mit. Das Social Web sollte dabei nicht Trainees überlassen oder als Versuchsfeld für kommunikative Testballons missbraucht werden.
Aufgabe muss es sein, die Online-Kommunikation ernsthaft und fest in der Kommunikationsstrategie des Unternehmens zu verankern – in enger Abstimmung mit der Geschäftsführung. Und stets mit dem Ziel, dass Unternehmenskommunikation, Marketing, Rechtsabteilung, HR, Service und Vertrieb auch im Internet mit einer Stimme sprechen. Ebenso wichtig: Alle Mitarbeiter müssen von zentraler Stelle auf Chancen und Risiken von Äußerungen mit beruflichem Bezug ausreichend sensibilisiert und entsprechend geschult werden. Die PR darf auch im Netz nicht der verlängerte Arm des Marketings sein und erst im Fall einer Krise zu Hilfe gerufen werden; vielmehr können auch online Vertriebskanäle erst dann richtig erschlossen werden, wenn mit einer guten Reputation die Basis stimmt. Sprechen wir künftig also lieber von Social Media Relations als von Social Media Marketing, dreht sich zeitgemäße Online-Kommunikation doch ums Miteinanderreden statt ums Überreden.
Über den Autor:
Florian Bergmann ist PR-Berater und Projektleiter Online-Kommunikation bei der Engel & Zimmermann AG Unternehmensberatung für Kommunikation in Gauting bei München.
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