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Online seit: 13.10.2021
Protestgewitter im Netz – Was hinter Shitstorms und Wutbürgertum erkennbar wird
Egal ob online oder offline: Immer mehr wütende Bürger machen ihrem Ärger über Unternehmen, Institutionen oder politische Entscheidungen öffentlich Luft. Woher die Empörungswellen kommen und warum sich die Angegriffenen vor allem in Unaufgeregtheit üben sollten, erklärt Professor Lothar Rolke in seiner Kolumne.
Die gesellschaftliche Zustimmung zur Geschäftstätigkeit von Unternehmen, zu ihrer Standortpolitik oder auch zu ihrer Werbung ist genauso wenig selbstverständlich und kostenlos zu haben wie die Nutzung der Ressource Umwelt. Letzteres ist gelernt, ersteres nicht von allen.
Die Öffentlichkeit will immer wieder neu überzeugt werden, mitgestalten können und im Schadensfall schlicht Kompensation. Daran erinnern die aktuellen Protestgewitter in der Offline- wie in der Online-Welt: Wutbürger am Stuttgarter Bahnhof oder montags in der Abfertigungshalle des Frankfurter Flughafens einerseits und die Shitstorm-Starter auf den Social-Media-Plattformen von Unternehmen andererseits. Sie zeigen einmal mehr, dass gesellschaftliche Akzeptanz ein knappes und geldwertes Gut ist, das immer wieder aufs Neue verdient werden muss – in der Verständigung mit den Anspruchsgruppen.
Die Reaktion ist entscheidend
Regelrecht überrascht werden Unternehmen von den manchmal wie aus dem Nichts auftretenden Empörungswellen im Netz – neuhochdeutsch: Shitstorms. Mitunter ist der Protest politisch motiviert und im Hintergrund als Kampagne geplant – wie etwa im Fall von Nestlé, als Greenpeace seinerzeit kollektive Empörung gegen die Verwendung von Palmöl beim Produkt Kitkat organisierte. Manchmal wiederum verkehrt sich eine Marketing-Aktion ins Gegenteil, weil die User sich provoziert fühlen – wie im Fall Henkel. Das Unternehmen hatte um kreative Designvorschläge für die neue Pril-Flasche gebeten, die Ergebnisse dann aber nach Einschätzung der User manipuliert.
In Einzelfällen reicht der Aufruf einer kleinen Gruppe, um einen sogenannten Shitstorm auszulösen. So geschehen bei der Österreichischen Bundebahn, die in den eiskalten Nächten im Februar 2012 aufgefordert wurde, ihre Bahnhöfe für die Obdachlosen zu öffnen, was innerhalb von vier Tagen von über 5.000 Usern unterstützt wurde. Oder beim Wurstkrieg auf der Facebook-Seite der ING-Diba. Entscheidend dabei – so hat sich immer wieder gezeigt – ist die Reaktion des Unternehmens. Schweigen geht nicht, Abwehr- oder durchsichtige Lenkungsmanöver verstärken eher die Entrüstung. Die Lösungsworte heißen: Unaufgeregtheit, Positionsklarheit, Geduld und Verstehen, um im richtigen Moment eine Diskussion zu beenden.
Verlorenes Vertrauen ist Quell der Aufregung
Doch die Online-Empörung wie auch die Protestaktion vor Ort sind nur das Symptom. Tatsächlich geht es um das verlorene Vertrauen der Konsumenten in die Versprechen der Unternehmen und das erheblich reduzierte Zutrauen in ihre Lösungskompetenz. Auf beiden Feldern ist die Skepsis groß. Viel Fassade, wenig Nachhaltigkeit. Da hilft es übrigens auch nicht, dass den Politikern genauso wenig Vertrauen entgegengebracht wird. Im Gegenteil, das Misstrauen in Märkte und Entscheidungsverfahren verstärkt sich gegenseitig.
Die Menschen lassen sich am ehesten überzeugen, wenn sie selber hinter die Fassade schauen dürfen. Mitmachen lassen, echte Einblicke gewähren und Kunden-Jurys bilden sind probate Mittel, um Distanzen abzubauen. Gegenüber Kunden und anderen Stakeholdern schafft das Vertrauen, der Organisation hilft es, Arroganz abzubauen und sich für die neuen Ansprüche zu öffnen, Ideengeber und Fürsprecher zu gewinnen. Und es bedeutet, Widerspruch, Einwände und die kreative Zerstörung von Erfolgsmythen, die sich heute meist als Ballast erweisen, zu kultivieren. Überraschungen und kritisches Nachfragen sind dann nicht die Feinde des Managements, sondern Ressourcen, aus den sich Zukunft machen lässt.
Über den Autor:
Professor Dr. Lothar Rolke lehrt Betriebswirtschaftslehre und Unternehmenskommunikation seit 1996 an der FH Mainz – University of Applied Sciences. Für zwei Jahre gehörte er dem Präsidium der Gesellschaft der Public Relations Agenturen (GPRA) an. Er ist Vorsitzender der Prüfungskommission der Prüfungs- und Zertifizierungsorganisation der deutschen Kommunikationswirtschaft (PZOK) GmbH.
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